Jutta Zimmermann hat in diesen Tagen ein eigenes kleines Heft herausgegeben mit dem Titel "Kloster Denkendorf und christlich-jüdische Begegnung - Gedichte und Erinnerungen". Gewidmet hat sie es den Menschen, "die mit mir auf den Wegen des christlich-jüdischen Gesprächs verbunden sind und darüber hinaus noch Vielen, die das Kloster Denkendorf kennen und lieben".

Mit ihrer Einwilligung veröffentlichen wir in Auszügen das ein oder andere. Dir, liebe Jutta, vielen Dank dafür. 
Johannes Merker, den 07.12.2015

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Der Klostergeist hat das Wor

Wer öfter bei jüdisch-christlichen Bibel- und Lernwochen in Denkendorf war, der weiß, dass es dort einen Klostergeist gab, der Briefe an einen Freund schrieb. Die deponierte er irgendwo im Klosterbereich, und ich hatte die Begabung, sie zu finden.
Im Laufe der Jahre hat sich da eine hübsche Sammlung von Briefen ergeben. Ich stelle eine kleine Auswahl daraus zusammen, vor allem Erkenntnisse und Beobachtungen, die es mit dem gemeinsamen Leben und Bibel-Lernen von Juden und Christen im Kloster zu tun haben. 

1990 schrieb er: 

Lieber Freund, ich muss Dir mitteilen, dass wir wieder einmal eine jüdisch-christliche Bibelwoche im Haus haben. Was sage ich, im Haus - in allen Häusern, allen Räumen, allen Gärten - ich weiß schon gar nicht mehr, wo ich mich verkriechen soll, sogar in den Keller kommen sie und holen Klostermost. 

Bei den Mahlzeiten ergießen sie sich nicht nur in den Speisesaal und ins Bengelstüble, sondern mit einem langen Tisch noch weit in den Kapitelsaal hinein, obwohl der in dieser Woche eigentlich Beit Knesset ist. Das heißt auf deutsch Synagoge, falls Du das nicht weißt. Da müssen die jüdischen Männer beten, schon morgens in aller Früh, um sieben Uhr, und abends noch einmal. Die Frauen müssen nicht beten, aber sie dürfen, wenn sie wollen. Das mit dem Müssen und Dürfen und Wollen ist gar nicht so einfach. Die Männer, auch wenn sie beten müssen, haben trotzdem einen freien Willen, das ist gut jüdisch. Ich kann Dir übrigens bestätigen, dass manche hier nicht nur einen freien, sondern auch einen ganz eigensinnigen Willen haben - nicht nur bei den Juden, und nicht nur bei den Männern ...

1993 lässt er seinem Freund wissen:

Ich bin ganz erschöpft - und warum? Das sag ich Dir mit einem Satz, der eigentlich paradox ist, aber er stimmt: Wenn Juden und Christen beisammen sind, machen sie einen Heidenlärm. Du sollst blos einmal im Speisesaal dabei sein. Da erreicht das Stimmengebraus eine Phonstärke, die jeder Arzt gesundheitsschädlich nennen würde. Auch wenn sie alle am Essen sind, sinkt der Geräuschpegel nur wenig. Dabei futtern sie ganz gewaltig, und das ist ja auch kein Wunder bei den vielen guten Sachen, die da aus den beiden Küchen kommen, koscher für die einen und kichtkoscher für die andern, aber für alle gut und abwechslungsreich.

Am Abend trinken sie noch Klostermost im Garten, und manche Christen futtern Schmalzbrot aus dem Mitternachtskühlschrank, was natürlich nicht nur unkoscher, sondern auch ungesund ist - aber gut!!

Nun aber vom Essen zum Lernen. In einem ganz frühen Brief - 1984 - erklärt der Klostergeist seinem Freund den Unterschied zwischen Pschatt und Drasch:

Also pass auf! Wenn Du eine Geschichte ganz genau so erzählst, wie sie in der Bibel steht, und beim Auslegen nichts nichts dazu tust und nichts weg, dann ist das der Pschatt. (Schwäbisch dät mer sage: ganz blutt die Gschicht ond nix drom rom).

Wenn Du aber die Geschichte auch so erzählst, wie sie in der Bibel steht, und dann noch andere Geschichten dazu, die nicht drinstehn, aber lehrreich und auch lustig sind, dann heißt das Drasch. Das kommt nicht von dreschen, nicht dass Du auf falsche Gedanken kommst! Und die Geschichten, die nicht im Text stehen, heißen Midraschim.

Es gibt ein paar Themen, die Dauerbrenner sind und in fast allen Kursen irgendwie vorkommen, ganz gleich, was das Hauptthema ist. Das ist einmal die Frage nach der Stellung der Frau in der Bibel und im Judentum. Dazu hat der Klostergeist natürlich auch seine Erkenntnisse gesammelt.

1992 - es ist ein Kurs über jüdisches Beten - schreibt er:

Ich kann Dir sagen, lieber Freund, das Thema Männer und Frauen ist unerschöpflich. Das weiß der Roland Gradwohl als erfahrener Lehrer bei christlichen Gruppen inzwischen auch. Deshalb hat er am ersten Tag auf alle diesbezüglichen Fragen kategorisch erklärt: Das kommt morgen dran! Siehst Du, da kann man pädagogisch was lernen: So steigert man die Spannung!

Am zweiten Tag kam's dann auch wirklich dran, nämlich die Stelle im Morgengebet, wo die Männer Gott loben, weil ER sie nicht als Frau geschaffen hat.

Ich als alter Klostergeist bin ja sozusagen geschlechtslos und höre immer mit Vergnügen zu, wie die Männer sich Mühe geben zu erklären, wie wichtig die Frauen sind, und überhaupt nicht benachteiligt, sondern nur geschont, und dass sie eigentlich alles tun dürfen, und dass sie ihre eigenen, ganz wichtigen religiösen Pflichten haben, von denen die Männer nix verstehen - und was weiß ich noch alles. Zum Schluß könnte man herzlich Mitleid kriegen mit den Männern und denken, die Frauen müssten sich beim Ewigen bedanken, dass Er sie nicht als Mann erschaffen hat. (Vielleicht tun das manche auch, aber es steht nicht im Sidur).

Soweit zu den Frauen. Das andere Dauerthema ist die hebräische Sprache und die Übersetzungen.

1990 schon schreibt der Klostergeist:

Nun muss ich Dir noch mitteilen, dass unter den Christen, die nach Denkendorf kommen, ein seltsamer Bazillus umgeht. Ich nenne ihn den Bazillus Hebraicus. Er befällt Frauen stärker als  Männer und bewirkt, dass sie alle Hebräisch lernen. In einer Gruppe soll's nur zwei gegeben haben, die nicht befallen waren.

Vor allem in den Psalmenwochen mit Schimon Bar-Chama hat der Klostergeist viel über die Kunst des Übersetzens gelernt, auch über Irrtümer und Fehler dabei, z. B. wo es um Tiere geht, wie im Psalm 104: Da gibt es den Wal, der aber wahrscheinlich ein Delphin ist, die Reiher, die aber Störche sind, die Klippdachse, die eigentlich Klippschliefer heißen und zur Familie der Elefanten gehören, obwohl sie aussehen und sich benehmen wie Murmeltiere und bei Luther zu Kaninchen mutieren. Du siehst, es herrscht da eine große Verwirrung im Tierreich ...

Nun noch aus einem letzten Brief des Klostergeists vom Juni 2009.

Viele von den Teilnehmern kennen einander, weil sie schon x-mal da waren. Die hab ich dann gelegentlich mit wehmütigem Blick unter dem blühenden Tulpenbaum stehen sehen, oder sie haben im Kreuzgarten die Schildkröte besucht, oder sie sind langsam durch die Kreuzgänge gewandelt. Dabei haben sie geseufzt und gesagt: Sehen wir's wohl zum letzten Mal?

Ach lieber Freund, da ist's mir altem Klostergeist auch ganz wind und weh geworden ... Ich weiß ja immer noch nicht: Soll ich am Jahresende mit nach Bad Boll umziehen oder bleib ich hier, damit mein Kloster nicht von allen guten Geistern verlassen ist? Aber was tue ich, wenn keine Leute mehr kommen? Vielleicht geh ich doch mit nach Bad Boll ...

Soweit der Klostergeist. Inzwischen sind die Jahre vergangen. Das Kloster als Ort für christlich-jüdische Begegnung gibt's nicht mehr. Auch den Klostergeist gibt's nicht mehr.

Als (Er-)Finderin seiner Briefe möchte ich ein Gedicht an den Schluss stellen. Es entstand nach einer Torah-Lernwoche zum Abschied der jüdischen Freunde. Heute schwingt darin für mich auch ein Stück Abschied vom Kloster mit.

ZUM ABSCHIED

Ein Stück vom Sommer geht mit Euch,
auch wenn die Rosen noch blühen,
die roten im Garten, die gelben im Teich.
Es waren Tage hell und reich -
nun heißt es weiterziehen.

Nehmt mit - es ist nicht schwere Last -
vom Glockenschlag am Morgen,
von den Wolken, die ziehn im Mittagsglast,
vom Lied der Vögel auf Baum und Ast,
so frei und ohne Sorgen.

Nehmt von des Abends Kühle mit,
von der Stille im Klostergarten.
Vergeßt nicht, wenn ihr heimwärts zieht,
was uns bewegte das Gemüt
auf Ausflügen und Fahrten.

Nehmt mit, was Euch in Erinn'rung ruft
das Blarerhaus und die Küche,
nehmt eine Nase voll Klosterluft,
sei's Kaffee- oder Kuchenduft
oder andre Wohlgerüche.

Lebt wohl! Ich sag's für andre auch:
Wir sehn Euch ungern scheiden.
Eine rote Rose brech ich vom Strauch,
wink Euch damit nach altem Brauch.
Mög Euch der Ew'ge geleiten!

Denkendorf, im Sommer 1985, Jutta Zimmermann

(Wir werden weitere Beiträge von Jutta Zimmermann aus ihrem Heft hier veröffentlichen. jm)